Donnerstag, 23. Februar 2023

Die Kleidung des Windes

- Bruder Wind, wie machst du es, stets ein so schönes Kleid zu tragen? 

- Der Himmel säubert es, der Regen reinigt es und die Sonne bringt es zum Leuchten. 

- Es glänzt wie ein Juwel.

- Es leuchtet auch, Bruder, durch das Licht deines Blickes.   

Romance de la montaña

Alfredo Mires

 

Die fühldenkenden Menschen

 
Lieber Alfredo,
vor 22 Jahren lernten wir uns kennen. Du bist damals gerade 40 Jahre alt geworden.
Heute wäre dein 62. Geburtstag.
Wenn mich jemals jemand fragen würde, welche Arten von Freundschaften mir wichtig sind, mit welchen Menschen ich am liebsten durch das Leben gehe, welche Wesen ich gern an meiner Seite habe – in guten wie in schlechten Zeiten -, welchen Charakteren ich nahezu blind vertraue, welche Freunde ich niemals missen möchte, dann fielen mir Worte von dem wunderbaren Eduardo Galeano ein, der einmal sagte:
„Ich mag denkend-fühlende Menschen, die die Vernunft nicht vom Herzen trennen. Die gleichzeitig fühlen und denken. Ohne den Kopf vom Körper zu trennen, das Gefühl vom Verstand.“
Außerdem – so würde ich ergänzen – mag ich mutige Menschen. Menschen, die ruhig und würdevoll, voller Stärke ihren Weg gehen. Und dabei andere berühren. Die Wärme und Kraft ausstrahlen. Das Außen im Blick, aber die den inneren Kompass nie verraten. Nicht aus Gründen einer Ideologie, sondern weil sie schlicht nicht anders können. Die keine Angst haben. Nur manchmal ein bisschen. Die vielleicht ihre Quelle nicht kennen, aber die Größe doch erahnen. Die darum wissen, wie klein wir alle sind und wie riesig die Welten der Welten. Die immer Neues lernen, weil das Leben in ihnen pulsiert und kein Ende jemals endgültig sein kann. Die Liebe und Schmerz fühlen und dennoch offen bleiben. Die die Natur als Teil von sich begreifen und sich von ihrer Schönheit den Atem rauben lassen. Die ihren Humor ansteckend nutzen, weil das Leben unfassbar einmalig wunderschön ist und sie daran niemals zweifeln.
Mit anderen Worten:
Ich würde dich beschreiben.
Fühle dich fest umarmt und sei dir sicher: Wir stoßen auf dich an – wo auch immer du nun bist, in unserer Nähe ist immer auch dein Platz.
Du fehlst hier sehr. 
Kyra
 

Heute kehre ich zu dir zurück

Heute kehre ich zu dir zurück, in deine Umarmung, Bruder Alfredo, an diesem Morgen sah ich dich, Kolibri, zwischen den Blumen fliegen, während mein Herz voller Tiefen und Emotionen war wie ein erboster Sturm, ich dachte an dich auf dem Berg, in der Unendlichkeit „Qayaqpuma“.
Hier waren dein Poncho, dein Hut, deine kleine Tüte Coca, dein süßer Wein und diese fruchtbare Liebe, die du mit jeder deiner Taten gesät hast: Wenn du diese Blicke sehen könntest, diese Umarmungen, diese Liebe, die deinen Tod erschaffen hat, in uns allen, die deine Stimme hören und dein Wort fühlen.
An diesem Tag haben wir deine Blumen, deine Düfte, deinen erdigen Poncho aufgelesen und wir sind zu einem Altar gegangen, um dich zu ehren, was du dir von Herzen verdient hast. Als wir uns diesem Raum näherten, der am Fuße deines Apu lag, erinnerten wir uns an dich, wir träumten von dir und wir gingen über diesen kleinen Hügel und spürten deine ganze Präsenz in der Unermesslichkeit des Berges.
Schließlich erreichten wir ein kleines geschütztes Plateau, von dem wir dachten, dass es dir gefallen würde, Alfredo, wir arrangierten deine Blumen und den Geist, wir beteten mit unserem Lachen und unseren Tränen zu dir, dein Gevatter Javier teilte seinen Traum mit uns, in dem er gesehen hatte, wie du auf ein weißes Pferd mit einem erdigen Fleck auf der Stirn gestiegen bist und den Weg über den Rücken und durch den Zauber des "Qayaqpuma" zurückgelegt hast, also ehren wir dich, lieber Bruder.
Jedes Mal, wenn ich jetzt auf deinem Apu laufe, grüßt du mich von der Erde und dem Himmelsgewölbe und wir, demütig und glücklich, haben nur noch Dankbarkeit in unseren Seelen.
Mauricio
 
 

Beisammen

Im Oktober letzten Jahres, während der Totenwache und inmitten unserer tiefen Trauer um Alfredo, erhielten wir die Nachricht, dass der neue Bischof von Cajamarca, Monsignore Isaac Martínez, die ländlichen Bibliotheken besuchen möchte. Aus diesem Grund hatten wir am 25. Januar ein außerordentliches Treffen mit der Teilnahme von Monsignore Isaac, den Pastoren Manuel Salazar und Miguel Garnett sowie Marco Arana und dem zentralen Team. 
Wir erinnern uns, dass die ländlichen Bibliotheken auf Initiative von Pastor Juan Medcalf entstanden sind, der mitten im lateinamerikanischen Prozess der Befreiungstheologie nach Peru kam. Alfredo war sich dessen sehr bewusst und führte uns regelmäßig vor Augen, dass wir nicht nur eine Institution sind, die bloß Bücher verleiht. Es sagte in etwa:
„Was wir im Projekt der ländlichen Bibliotheken suchen, wonach wir seit unseren Anfängen im Jahr 1971 immer gesucht haben, ist das Schmieden des neuen Menschen – solidarisch, liebevoll, kritisch, demütig – und der Gemeinschaft. Beides sind Prinzipien, die sich im Leben Jesus manifestieren und widerspiegeln. 
Die Wurzeln von Bibliotecas Rurales haben eine enge Beziehung zur Kirche von Cajamarca repräsentiert durch Monsignore Dammert Bellido und zur Befreiungstheologie in der Person von Pastor Juan Medcalf.
Die von der lateinamerikanischen Kirche in den 1960er Jahren als Folge der Armut und der Unterdrückung von Diktaturen auf unserem Kontinent propagierten und geförderten Möglichkeiten für die Armen war immer Motor und Grund unserer Arbeit. 
Das Ausleihen von Büchern als Zugang zu Wissen aus dem unmittelbaren und universellen Kontext, die Lesekreise und auch die Herausgabe eigener Bücher sind nur Werkzeuge für unseren Weg und unsere Verpflichtung, für die Gleichheit und Würde der Bäuerinnen und Bauern zu kämpfen sowie für die ganzheitliche Befreiung eines jeden Menschen.“
In Erinnerung an unsere Gründer, Juan Medcalf und Alfredo Mires, und unsere Kollegen vor Ort, bekräftigen wir dieses Engagement als Prinzip und Grund unserer Arbeit. Wenn es möglich ist, eine Verbindung mit der Kirche von Cajamarca in irgendeiner ihrer Manifestationen wiederherzustellen, dann wäre dies willkommen. Die Wiederaufnahme des Bewusstseins für dieses Engagement stärkt uns geistig und in unseren konkreten Aufgaben von, mit und für die bäuerlichen Gemeinschaften von Cajamarca. Und wir werden es, wie alles, glücklich, mit Ermutigung und in Erinnerung an Juan und Alfredo tun.
 

Immer lesend...

 

Wir gehen weiter... und versuchen dem Weg zu folgen, der uns von unserem Freund Alfredo gezeigt wurde.
Alfredo säte den Samen für die Liebe zur Lektüre und er kümmerte sich stets mit Sorgfalt und Zuneigung darum. Er nutzte jede Gelegenheit, um uns eine Geschichte vorzulesen, um einen Text mit uns zu teilen oder uns danach zu fragen, was wir gerade lesen und was wir demnächst lesen möchten.
Und dieser Samen, der auf fruchtbaren Boden fiel, trägt Früchte. An einem für alle schmerzhaften Tag tröstete uns sein Wort: Er sprach zu uns durch seine Bücher, er übermittelte uns Frieden, Hoffnung. Und heute spricht er nach wie vor zu uns.
Wir werden deine Werke weiterlesen, Alfredo, in „lebende Steine, lebendige Städte“, in „Pedro Urdemales in Cajamarca“, …
Wir hoffen, dass dein Andenken uns dabei hilft, die Kraft am Leben zu erhalten und dein Vermächtnis fortzusetzen.
 

Hier sind wir wieder!

 
Das Jahr 2022 hat uns mit vielen Tränen, vielen Emotionen, einem großen Vermissen, mit vielen Verabschiedungen zurückgelassen, aber auch mit einer Nostalgie durch die Ankunft neuer Bücher. Die Abwesenheit unseres Begleiters und Lehrers Alfredo Mires hat eine tiefe Wunde bei uns verursacht. Während wir versuchen, diese Wunde zu heilen, haben wir den Blog vernachlässigt. Aber jetzt sind wir wieder da - mit der Kraft seines Geistes möchten wir nun Alfredos Vermächtnis fortsetzen. 
Am 16. November 2022 feierten wir in Cajamarca den Tag „Wir sind noch hier“: die Erinnerung an die Entführung von Atahualpa im Jahr 1532. Bei dieser Gelegenheit stellten wir drei Bücher des Netzwerks vor: die zweite Ausgabe von „Resuellos, ein Buch über poetische Verse aus den Anden; „die Romanze des Berges“ und „die Träumereien des Ñaupa“. Alle Bücher wurden von Alfredo Mires geschrieben, der uns weiterhin auf diesem Weg der Wiederherstellung und des Erhalts der früheren Worte unserer Gemeinden begleitet.
Bei dieser Veranstaltung waren die Freunde, die Wegbegleiter des Netzwerkes der ländlichen Bibliotheken anwesend. Die Gefährten kommen von weit her, tragen ihre Bücher für den Tausch und ihren Beitrag zum gemeinsamen Essen mit sich. Wir danken ihnen für die enormen Bemühungen und das Engagement, uns zu unterstützen. In den darauffolgenden Tagen trafen wir uns mit ihnen, um die zweite Generalversammlung des Jahres zu feiern. Mit einigen der Kollegen hatten wir uns das letzte Mal vor der Pandemie gesehen. Dieses Wiedersehen hat viele Erinnerungen geweckt. 
Im „Projekt der Enzyklopädie von Cajamarca“ setzen wir die Bearbeitung und das Herausgeben von Materialien fort, im „Archiv der mündlichen Traditionen von Cajamarca“ geht die Digitalisierung und die Transkription von mündlich überlieferten Texten weiter und wir arbeiten ebenfalls an den Neuauflagen der Bände der „ländlichen Bibliothek“.
Wir nehmen die Dynamik wieder auf und gehen voran, mit dem Ziel, unsere Kultur durch das Lesen zu vermitteln und zu verbreiten.
 
 

Herzlich willkommen, Kyra

Mit manchen Menschen verbindet uns eine lange Beziehung und Freundschaft. Obwohl sie weder in Cajamarca noch in unserem Land oder Kontinent leben, pflegen sie einen sehr erfrischenden, unterstützenden und liebevollen Kontakt zu Bibliotecas Rurales. 
Kyra Grewe, Lehrerin, Deutsche und seit über zwanzig Jahren Freundin von uns, ist eine dieser besonderen Menschen. Sie ist auf die eine oder andere Weise immer in den Aktivitäten des Netzwerkes unseres Projektes präsent. 
Kyra war zu Beginn vor allem eine Freundin von Alfredo. Und wir glauben, dass er es war, wo auch immer er jetzt ist, der sie dazu animiert hat, sich unserem Team von Freiwilligen anzuschließen. Kyra hat dieses Vermächtnis angenommen: In diesem neuen Jahr hat sie angeboten, uns bei der Übersetzung unseres Blogs ins Deutsche zu unterstützen. 
Das ist sehr hilfreich, denn in den vergangenen Zeiten ruhte unser deutschsprachiger Blog mangels Freiwilliger. Wir freuen uns sehr, ihn mit deiner Hilfe und Anwesenheit wiederbeleben zu können: herzlich willkommen, Kyra.
 

Irren ist menschlich III

Und wir gehen weiter ...
Einige Jahre nach der Veröffentlichung sehr humorvoller, aber fehlerhafter Titel unserer Bücher oder die anderer Autoren, war dieses Mal der Name unseres Netzwerks an der Reihe.
Es ist vor ein paar Tagen passiert, als ich ein Paket mit Materialien abgeholt habe, die aus Lima geschickt worden sind. Dort stand bei dem Namen des Empfängers nicht "ländliche Bibliotheken", sondern "Bibliotheken der Birnenplantage". 
Uns, die wir in dieser Zeit viele Tränen vergießen mussten, bringen diese Anekdoten nicht nur zum Schmunzeln, sondern lassen uns auch darüber nachdenken, was unser lieber Alfredo sagen würde: „Mädels, dazu muss man eine kleine Notiz für den Blog schreiben, um auch die Leute zum Lachen zu bringen."
Das haben wir hiermit getan. 

 

53 Jahre Lesegemeinschaft

Der März ist die Zeit des Gedenkens und Feierns bei den ländlichen Bibliotheken: Am 31. März 1971 begann unsere Reise mit Büchern in den Gem...